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Ausgemusterte Szene "Leonhards Brautschau" aus "Add-On, Novalee"

LEONHARDS BRAUTSCHAU

Ein Held will sesshaft werden.

Der Held Leonhard in heroischer Pose.
Zeichner: Fabian Gotzes "arcadeink_fabs"

(Mit verschränkten Armen und erhobenem Kinn starrte ich ihn an. Ich musste nicht groß sein, um ihm Angst zu machen. Ich musste ihm nur nonverbal verklickern, dass ich treffen würde. Mit Worten. Oder seine in Weichteile.) Die Herberge in der Königsstadt Demerele, vor der Leonhard stehen geblieben war, gehörte zu der schicksten, die ich jemals nicht betreten hatte. (Wenn der Held seinen Anstand nicht schleunigst wiederfand, würde es auch dabei bleiben.)

»Nö.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte unseren lackmolchigen Reiseführer nieder.

(»Novalee?«) Pabker, unser ehemaliger Bauer und Götterwerks-Auskenner, räusperte sich neben mir. (»Dir ist schon klar, dass unser Held Meinungsverschiedenheiten nur auf eine Art klärt?«)

(»Nachtisch?«) Mit strahlenden Augen blickte ich Leonhard an und wiederholte energischer: »Nö!« (Vielleicht gäbe es dann den doppelten Nachtisch.)

Pabker schüttelte unmerklich den Kopf. (»Das Götterwerkswesen wird immer wieder neu Laden, bis er die gewünschte Antwort erhält.«)

Schnaufend drehte ich beiden das Profil zu.

»Bitte, Novalee. Tu es für mich!« Leonhard winselte wie ein Welpe, kroch sogar vor mir im Staub, obwohl ihm die halbe Stadt dabei zusah.

»Sie sah aus, als bräuchte sie Ruhe. Keinen liebestollen Kerl.«

Schnaubend stand Leonhard auf. Klopfte sich die Hose sauber und lief an mir vorbei. »Woher willst du das wissen?«, fragte er und stapfte in die Herberge.

»Weil ich den Blick kenne! - Von mir!« Ich zog die Zwille, um ihm eine hübsche kleine Kugel gegen die Kniekehle zu pfeffern. Doch der Lackmolch verrammelte hastig die Tür zwischen uns.

»Tu was«, fuhr ich meinen Steinfreund Brock an, der die halbe Straße versperrte. »Reiß die Wand ein oder so! Der Klotz soll sich gefälligst zusammenreißen.«

Der Steinhüne setzte sich mit dem Rücken an das Gebäude, lehnte seinen Dickschädel gegen die Fenster und schloss die Augen. Er hatte recht: wir konnten der Frau nicht helfen. Die Herberge ließ uns nicht ein.

»He«, rief plötzlich ein älterer Mann und eilte auf Pabker zu. »Sind Sie nicht der Experte für Pflanzen? Ich habe eine kleinen Garten und mein Gemüse-«

Ich schaltete meinen Gehörgang auf Durchzug, während ich Pabkers grandiose Wandlung beobachtete: von »Sprich mich nicht« an zu »Hast du noch Fragen? Ich beantworte sie alle!«, fehlte offensichtlich nur jemand, der an seinem Gemüse verzweifelte.

In der Herberge rumpelte es plötzlich. Schreie ertönten.

Über Brock riss jemand die Fenster auf. Leonhard flog im hohen Bogen heraus. (Der Steinmann hätte ihn fangen können, doch er blieb in seiner abwartenden der-Kingergarten-geht-mich-nichts-an-Haltung und ließ den Helden auf die Straße klatschen.)

Auf der Seite liegend nuckelte Leonhard an einem Heiltrank. »Du hattest Recht«, stieß er nach Atem ringend hervor. »Sie wollte ihre Ruhe …«

Ich verdrehte die Augen und hockte mich direkt vor seinen störrischen Schädel. »Was erwartest du? Die Liebe einer Frau zu erringen, indem du sie bis vor ihre Tür verfolgst?« Ich schnippte ihm gegen die Stirn. »Und obendrein einer Elfe. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie es ihrem Volk geht?«, fuhr ich ihn an.

»Reisefreudig. Und deutlich aggerssionsbereit«, verteidigte sich Leonhard und stand mühsam auf.

Wirsch bat ich ihn, zu folgen. Weg von der Straße, den verstohlenen Blicken der Passanten und den neugierigen hinter den Fenstern. Wir liefen bis dahin, wo ich uns sicher vor Tratsch wähnte: hinter die Wachtposten des Schlosses.

»Du hast der Elfe nicht nur Angst gemacht, sondern ihr obendrein Probleme bereitet«, fuhr ich ihn an. »Die Elfen sind außerhalb ihrer Wälder verachtet. Wegen der Gerüchte über Bosheit und Intrigen, die sie selbst all die Jahrhunderte streuten. Und zeitgleich finden Menschen Elfen faszinierend - auf sexueller Art.« Abrupt blieb ich stehen, sodass er in mich hineinlief. Er stolperte zurück, stotterte eine Entschuldigung.

»Willst du wissen, was die Elfen sich anhören müssen?«, fragte ich ihn und starrte auf den mit Steinen gepflasterten Weg.

»Nein«, hörte ich ihn hinter mir murmeln.

Ich drehte mich um und genoss den Anblick seiner stocksteifen Körperhaltung gepaart mit den aufgerissenen Augen. »Stellt dir vor ein Ork grüßt einen Elf - und rammt ihm zum ehrlich-freundlichen Hallo die Stirn gegen den Kopf. Elf stirbt. Krieg beginnt. Oder kannst du dich an die Gerüchte erinnern, in denen eine sexualmagie praktizierende Gesandschaft, auf ein Volk traf, das gern den Liebeskampf antritt.«

Leonhards breites Grinsen sprach Bände. »Du wirst nicht die einzige Hybridin bleiben.«

Augenverdrehend lief ich weiter in Richtung Schloss. Kaum einer würde die neuen Generationen gutheißen, wie Leonhard es tat. Mir drückte der Magen bei der Vorstellung sie müssten das Gleiche erleben, wie ich: Eltern, die sich zurückzogen. Gemeinsam lebten. Sich trennten, weil sie von ihren Nachbarn zermürbt wurden. Die schmerzenden Worte, die diese Familien überschwemmen würden. Die Unwissenheit, wohin man gehörte. Ob die Blutsverwandten Völker die Kinder insgeheim ächteten, oder wegen des Charakters liebten. Ganz davon zu schweigen, ab welchem Zeitpunkt ein Hybrid als erwachsen galt - und wann der natürliche Alterstod erwartet werden konnte. (Meine Gedanken schossen zu Brock.)

Ziellos lief ich weiter, bog kurz vor dem Tor ab und schlenderte zu den Lustgärten. Leonhards Heldenstatus war es zu verdanken, dass ich frei hier herumlaufen konnte.

»Ich möchte sesshaft werden, Novalee«, sagte Leonhard und legte mir eine Hand auf die Schulter, damit ich stehen blieb. »Ich möchte wahre Liebe erfahren.« Mit einem Ruck drehte er mich herum. »Hilfst du mir bitte?«

Schnaufend kramte ich in meinem Inventar (nicht dem Geheimen in meinem Dekolleté) und reichte ihm einen Zettel. - Eine Quest, die mir genervte Reisende in die Hand drückten. »Ich kann nicht glauben, dass ich das sage, aber in Lourdé findest du vielleicht jemanden.«

»Die ehemalige Stadt der Perversen?« Er studierte die krakelige Handschrift. »Magierproblem?«

Ich nickte und sah ihn vorfreudig auf der Stelle hüpfen.


Leonhard bereitete sich gründlich auf das Treffen mit seiner zukünftigen großen Liebe vor, indem er das Bordell der Rotmine besuchte. (Lackmolch!) Während er sich amüsierte, streute ich Gerüchte über seinen neuerlichen Reichtum, als Belohnung für die Weltrettung.

Banditen, Diebe und Söldner kamen unter dem Deckmantel der Abenteurer und neuen Helden und versteckten sich im Nebel, den Lourdé einst wie eine Warnung trennte. Sie trampelten die Rauchblumen zu Muß und rissen den letzten Wall der verruchten Taten nieder, die die einstigen (jämmerlichen) Herrscher der gläubigen Stadt säten.

Leonhards Ausdauer schien erschöpft, als er aus der Rotmine trat. Sobald er den ersten Schritt unter freiem Himmel machte, griffen sie ihn an.

Jubelnd zog er sein Schwert und brüllte »Das ist der beste Tag meines Lebens!«, bevor er sich in den Kampf stürzte.

Das interessante an unseren Gegnern: all diese Gruppen von Menschen hatten mindestens einen Magier in ihren Reihen, beziehungsweise einen als ihren Anführer. (Als ob sie sich berufen fühlten, anderen endlich das Leben schwer machen zu dürfen.)

Obwohl mich Leonhard mitschleppte, verbot er mir strengstens die Magie aufzusaugen (was ich trotzdem tat, sobald sie ihre Angriffe gegen mich wandten). Um den magischen Gerüchen zu entkommen, die zwischen Erbrochenem, Schokolade und Schmieröl schwankten, schmierte ich mir etwas von Pabkers leckerer Suppe unter die Nase und zog mein Halstuch hoch.

Oft brauchte mich Leonhard gar nicht, um die Gegner zu besiegen. Einer von ihnen konnte Dinge explodieren lassen - und erledigte seine ganze Gruppe. Eine andere ließ Pflanzen aus dem Boden schießen, von denen sie, und drei nahe Banditengruppen, gefressen wurde. (Brock musste die Wurzeln ausreißen, um die nachfolgenden Gegner zu retten.)

Als wir auf dem Hügel ankamen, von dem aus wir Lourdé sehen konnten, atmete er schwer und prüfte seinen kritischen Heiltrankvorrat. »Wir sollten ein Gremium gründen. Mit dir als Vorstand, Novalee.« Leonhard stützte sich keuchend auf seinen Oberschenkeln ab. »Magier brauchen einen bindenden moralischen Kompass, der zum Wohle aller ausgerichtet ist.«

»Vergiss nicht zu erwähnen, dass sie unterrichtet werden müssen.« Ich drehte mich um und musterte den Weg, den wir eingeschlagen hatten. Umgefallene Bäume. Krater. Brandstellen. Tierskelette, die jemand ausgebuddelt hatte. Allgemein viele Bewusstlose und Verluste, durch Friendly Fire.

»Danke, dass ihr die Deppen beseitigt und dieses Rauchblumenunkraut entfernt habt«, sagte eine unfassbar gelangweilte Stimme. »Wir hätten noch ein paar Alchemisten in unserem schönen Ort, die unerlaubt mit Elementarmagie-Phiolen handeln.«

Stocksteif drehte ich mich herum und verneigte mich vor der Priesterin. Die schwarze eng anliegende Robe und die auf Kante gebügelte Haube, ließen Leonhards Augen leuchten. (Keine Ahnung, was in seinem Hirn vorging, aber ihr streng-dominantes Äußeres schien ihm zu gefallen.)

»Wir werden das Problem beheben.« Leonhard rückte sein Wams zurecht und setzte sein charmantestes Lächeln auf. »Wie kommt es, dass ich Euch noch nie begegnet bin? Wenn ich die Quest erfüllt habe, würde ich Euch gern zum Essen einladen.«

Die Priesterin musterte ihn, murmelte »Mal sehen« blies in eine Tröte und ging.

»Da ist er!« Männer und Frauen stürmten, Phiolen schmeißend, aus Lourdé den Hügel hinauf. Sie wirbelten eine Staubwolke auf, in der es blitzte, Flammen explodierten und der ganze andere Elementarkram.

»Novaleeeeeeeee!«, brüllte Leonhard hochfrequent und ging hinter mir in die Hocke.

In einer heroischen Pose riss ich mein Halstuch herunter, wartete, bis ich die Gier in den Augen unserer Gegner erkannte und öffnete die Hände. Ich atmete so tief den Duftmix ein, dass ich mich übergeben musste. Zurück blieb eine Horde sich selbst überschätzender Menschen mit der körperlichen Kampfkraft einer Zitrone und ein Leonhard, der vor mich sprang.

Kreischend drehten sich unsere Angreifer um - und reduzierten ihre Gesundheit Schritt für Schritt durch die Glassplitter, die sie zuvor noch so fröhlich verteilten.

Grinsend setzte Leonhard einen Fuß in Richtung Lourdé.

Plötzlich blieb er stehen.

(»Götterwerk«), nuschelte Pabker, der sich mit allem in der Welt auskannte und mit nichts anderem außer Pflanzen zu tun haben wollte.

Mir brach der Schweiß aus, als ich die Priesterin mit geraffter Robe auf die Bewusstlosen zu uns treten sah.

»Vielen Dank für die Hilfe.« Sie nickte knapp.

»Darf ich Euch zum Essen einladen?«, fragte Leonhard.

Mein Herz setzte vor Spannung aus. Die Priesterin fasste in ihren Ärmel und drückte ihm lasziv lächelnd einen Zettel in die Hand.

Erst grinste unser Held. Dann verlor sein Gesicht alle Farbe. »Ein Unterlassungsschreiben? Ich darf nicht nach Lourdé? Ich habe eure Stadt gerettet!« Fassungslos gaffte er sie an.

»Solange Ihr mit Eurem Verhalten Teil des alten Problems seid, heißen wir Euch nicht willkommen.« Sie ging, wie sie kam: auf den Körpern der Bewusstlosen tretend.

Wie es aussah, hatten die Priesterinnen den Alchemisten Versprechungen gemacht, sollten sie Leonhard besiegen.

Lourdé trug einen Maximalsieg davon: keine Alchemisten. Und ein Besuchsverbot für den amtierenden, gelegenheitslackmolchigen Helden.

Leonhard folgte wie ein Hund ihrer schwingenden Hüfte. Zumindest versuchte er es und lief erfolglos gegen die unsichtbare Wand, die ihn von Lourdé trennte.

»Du hast gesagt, ich fände hier meine Liebe«, jammerte er.

Er jammerte auf dem Rückweg zur Rotmine.

Und im Lager.

Und nachdem wir bei Elea in Demerele zum Essen eingeladen waren und eine der Hofdamen ihn nach ein wenig Spaß das Herz brach.

»So, mein Freund«, sagte unser Ork Taz und legte seine Pranke um Leonhards Schultern. »hast du viele Damen fühlen lassen. Karma, Baby.«

Jammernd ließ Leonhard seinen Kopf ins Essen fallen.

(»Er hat recht«), meinte Pabker verschwörerisch, während ich mir Nachtisch auf den Teller lud, (»hätte er nicht die maximal möglichen Liebschaften während unseren Reisen ausgeschöpft … Er hätte jede Einzelne von ihnen zur Frau nehmen können.«)


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